Heute ist der Internationale Tag der Freundschaft.
Ein wahrer Freund trägt mehr zu unserem Glück bei, als tausend Feinde zu unserem Unglück.
Wie leicht ist es, mit jemandem befreundet zu sein, solange es allen gut geht, man zusammen lacht und Spaß hat. Doch sind wir auch bereit, dann zu unserer Freundin/unserem Freund zu halten, wenn sie/er zum Außenseiter wird? Wenn nach einem Unfall das bisherige Leben zusammenbricht. Wenn eine schwere Krankheit den Spaß ausbremst oder sie/er gegen Regeln verstoßen hat – seien das nun rechtliche oder soziale Regeln innerhalb einer Gruppe. Schnell machen sich "Schönwetterfreunde" dann aus dem Staub und geben meist dem Verlassenen die Schuld daran. Ausreden lassen sich so leicht finden und schließlich muss das eigene Gewissen reingewaschen werden.
Wenn ich daher höre, wie Menschen mit der Anzahl ihrer Freunde angeben, muss ich schmunzeln.
Freundschaften, die sich auch in der Not bewähren, muss man sich nämlich erarbeiten. Wer keine Lust hat, die Sorgen des anderen anzuhören, kann nicht erwarten, dass er sich selbst später einmal bei ihm ausheulen kann. Wer nie seine Hilfe anbietet, weil es gerade zeitlich ungelegen kommt – wann passt es denn schon jemals zeitlich – sollte später auch nicht um Hilfe bitten.
Freundschaft bedeutet Schenken. Und damit meine ich keine materiellen Dinge, sondern Aufmerksamkeit, Trost, Lachen.
Freundschaft bedeutet Teilen von Freude aber auch von Leid.
Aber vor allem bedeutet es Vorauszueilen. Nicht darauf zu warten, ob der andere einem etwas Gutes tut, sondern auch einmal selbst den ersten Schritt zu machen – auch auf die Gefahr hin, dass man nichts zurückbekommt.
Meine Protagonistin Emma war lange Zeit aufgrund ihrer Gaben innerhalb der Raben bewundert worden. Im zweiten Band von Chosen (Das Erwachen) wird sie als Verräterin angefeindet. Das ist für ihre Freundin Faye alles andere als leicht. Emma selbst erkennt: "Es wäre so viel besser für sie, nicht mit mir befreundet zu sein." Doch Faye hält in dieser schweren Zeit eisern zu ihr:
Innerlich rolle ich mich zusammen wie ein Igel, stachlig, unnahbar, und stelle mir vor, dass alles nur ein Spiel ist. So wie die Spiele, die ich mit Mama als Kate gespielt habe, nur eben in der Erwachsenen-Version.
»Wenn du es nicht tust, geh ich!« Faye verlässt mit langen Schritten den Kiesweg und steuert auf die Bäume zu.
Unser Ziel ist eine Steinbank zwischen den Roteichen in der Nähe des Eingangstors. Wenn das Wetter es zulässt – und das ist in Irland nicht häufig der Fall – essen wir mittags nicht in der Kantine, sondern entfliehen der Meute zu unserem »Rabennest«, wie Faye diesen Ort liebevoll nennt.
…
Grüne Algen und Flechten sprießen auf dem groben Naturstein der Bank, die von kauernden steinernen Raben getragen wird. Früh am Morgen oder abends, wenn die vermoosten Stämme der Roteichen ihren weißen Nebelatem aus den zerfurchten Astlöchern hauchen, sieht das Rabennest geradezu mystisch aus. Nirgendwo in SENSUS CORVI fühle ich mich wohler. Schon gar nicht in meinem Zimmer.
Faye lässt sich neben mir auf die Bank fallen und ich lege den Arm um ihre Schulter
„Ich steh das schon durch, okay? Irgendwann wird es auch dem Letzten zu dumm. Neue Schüler kommen, irgendjemand anderes baut Mist ...«
»Hör auf!« Wenn sie ihre grünen Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneift, sieht sie noch katzenhafter aus. »Du bist nicht lange genug in SENSUS CORVI. So was hab ich hier noch nie erlebt!«
Ich drücke sie kurz und packe dann eins der Sandwiche aus, die wir in der Mensa geholt haben.
»Du isst? Ich könnte Brandon jetzt einen Hurlingschläger über den Schädel ziehen.«
»Könntest du nicht!« Nachdem ich eine Gurkenscheibe hinuntergeschluckt habe, schaue ich sie todernst an. »Du reichst mitsamt Schläger höchstens bis zu seiner Nase.«
Die Wut in ihren Augen bricht. Sie gibt mir einen Knuff gegen den Arm.
»Spiel du nur die Unverletzliche. Ich kenne dich besser. Und glaub mir. Mobbing ist bei uns Raben eigentlich verpönt, es sei denn, es wird von oben angeordnet, weil jemand gegen die Regeln verstößt. Ansonsten halten wir Raben ...«
»Zusammen. Ich weiß. Aber ich habe gegen die Regeln verstoßen, Faye.«
»Farran hat dir in seiner Ansprache eine Amnestie erteilt. Ich war ja nicht dabei, aber Kelly ...«
»Na, Emma, heute schon einen Mitschüler erstochen?«, raunt eine tiefe Stimme in unserem Rücken.
Auszug aus: Rena Fischer „Chosen – Das Erwachen“ planet! Thienemann-Esslinger Verlag
Lasst uns an diesem Tag ein wenig darüber nachdenken, ob wir selbst "wahre Freunde" sind, bevor wir selbiges von anderen einfordern.
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