Foto: ©Anna vom Buchstabenträumer Blog
Das Jugendbuch „Chosen: Die Bestimmte“ von Rena Fischer ist eine Mischung aus Fantasy, Thriller und Liebesgeschichte. Mich überzeugten vor allem der komplexe Plot und der Schreibstil, der von einer überraschenden Wendung zur nächsten trägt. Im Interview erzählt uns Rena Fischer ein bisschen mehr über ihr Buch, wie sie auf die Idee zur Story kam, und wie tief sie selbst beim Schreiben in ihre Geschichte eingetaucht ist. Außerdem erwartet euch ein kleiner Ausblick auf Band 2. Viel Vergnügen beim Lesen!
Du warst schon als Kind begeistert von Geschichten und hast Ideen gesammelt. Fließen diese Ideen auch heute noch in deine Geschichten ein?
Teilweise. Viele sind rückblickend natürlich unreif und haben eher einen nostalgischen Charakter für mich. Ich verwende nicht den Stil, sondern mehr die Idee oder das Bild hinter ihnen.
Ein Beispiel: Ich habe mir bereits als Kind angewöhnt, besondere Eindrücke auf Reisen zu skizzieren. Als ich als junge Frau zum ersten Mal New York besucht habe, beschrieb ich, wie ich früh morgens zum Fulton Fish Market gefahren bin, um New York einmal abseits der Haupttouristenziele kennenzulernen. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Geruch von Salz und rohem Fisch, an den Lärm und die vielen chinesischen Arbeiter, die emsig die Fracht ausluden. Ganz in der Nähe gab es damals ein Café, in dem ich hinterher frühstückte. Es nannte sich „Café Fledermaus“, und inszenierte in seinem Inneren die Wiener Kaffeehauskultur, von der Einrichtung bis hin zu den Walzerklängen. Inmitten dieses österreichischen Ambientes, umgeben von ebenfalls frühstückenden chinesischen Hafenarbeitern, aß ich typisch amerikanische Brownies und wurde von einem italienischen Kellner namens Michele bedient. Ich fand das unheimlich faszinierend, für mich war das damals der Inbegriff des Melting Pot.
Da der zweite Teil von Chosen ebenfalls zu Teilen in New York spielt, wollte ich diese Szene gerne einarbeiten. Und dann musste ich bei meinem Besuch in New York letztes Jahr feststellen, dass das Café Fledermaus mittlerweile in die Museum Mile umgezogen ist. Mein schönes Bild war weg! Da ich mein Setting aber immer sehr genau recherchiere, kam es für mich nicht in Frage, das Café Fledermaus einfach an seinem alten Ort zu schildern. Ich habe daher die Szene in die Nähe des Central Parks verlegt und das Café Fledermaus auf eine andere, ebenfalls amüsante Weise in die Geschichte eingeflochten.
Wie entstand die Idee zu „Chosen“?
Mich haben schon immer Menschen mit besonderen Fähigkeiten fasziniert. Die gibt es schließlich nicht nur im fantastischen Bereich. Ich denke da an Synästhetiker, also Menschen, die Zahlen oder Buchstaben in Farben wahrnehmen können, oder an Menschen mit Inselbegabungen. Dann habe ich von Menschen gelesen, die als „Klarträumer“ bezeichnet werden. Sie wissen im Traum, dass sie träumen und können die Träume in eine bestimmte Richtung lenken. Das geht so weit, dass sie teilweise einen Realitätscheck durchführen müssen, um festzustellen, ob sie träumen oder wach sind. Dieses Thema wurde auch in einem meiner Lieblingsfilme, „Inception“, aufgegriffen.
Für mich geht es in Chosen nicht nur um die rein äußerlichen Aspekte der Gaben. Vielmehr wollte ich mich damit beschäftigen, wie sich die Gaben auf die Psyche der jungen Menschen auswirkt. Gerade Jugendliche wollen in aller Regel eben nicht anders sein als die anderen. Da kann die Gabe noch so cool sein. Was ist, wenn sie die Gabe zudem nicht vollkommen beherrschen? Würden sie anderen davon erzählen oder hätten sie Angst, dass jemand ihre Gabe in irgendeiner Weise für seine eigenen Zwecke missbrauchen könnte? Dieser Aspekt brachte mich zu der Verfolgungsgeschichte und der tragischen Vergangenheit von Emmas Mutter.
„Chosen“ überzeugte mich vor allem wegen seines komplexen Plots. Wie wichtig war für dich das Plotten vor Beginn des Schreibens? Wie gehst du vor?
Plotten ist für mich tatsächlich wichtig, um bei komplexen Handlungssträngen nicht den Überblick im Schreibwald zu verlieren. Allerdings darf man sich das nicht wie das Abarbeiten einer To-Do-Liste vorstellen. Natürlich kommen einem während des Schreibens immer wieder neue Ideen und entsprechend verändert sich die Geschichte. Manchmal muss man auch Kapitel, die man bereits geschrieben hat, wieder anpassen, damit keine Plotholes entstehen, durch die – wie Stephen King so schön sagte – ein ganzer LKW passen könnte. Ich lege auch nicht einzelne Szenen vorneweg fest. Aber man sollte schon wissen, worauf man letztendlich zusteuern möchte. Schreiben hat viel mit der Malerei gemeinsam. Den groben Skizzen folgen immer weitere Lasuren und Feinarbeiten, bis das Bild oder der Roman fertig ist. Überarbeiten ist für mich auf jeden Fall genauso wichtig wie das Plotten vorneweg.
Du hast viel Wert auf Namensbedeutungen gelegt, und dass diese Namen dem jeweiligen Charakter entsprechen. Warum?
Zum einen, weil ich persönlich so ein besseres Gefühl für die Charaktere entwickle. Ich halte nicht besonders viel von der Verwendung von Modenamen. Ein Name sollte zumindest vom Klang her zum Charakter passen. Zum anderen, weil es mir unglaublich Spaß macht, meinen Lesern kleine Hinweise zu geben. Dass mir das Rätselraten und Fährtenlegen Freude bereitet, hast du sicher schon bei den Kapiteln von Emmas Mutter vermutet.
Welche Erfahrungen hast du beim Schreiben von „Chosen“ gemacht? Wie tief bist du selbst in die Geschichte eingetaucht?
Chosen liegt mir natürlich ganz besonders am Herzen, weil es mein erster veröffentlichter Roman ist. Wenn ich schreibe, tauche ich vermutlich ähnlich ab, wie Emma beim Emotionentauchen. Ich male mir die einzelnen Szenen oft wie in einem Film aus, mit abrupten Schnitten zur Spannungssteigerung – das hast du in deiner Rezension sehr schön erkannt. Gerade die ersten Kapitel von Chosen sind bewusst sehr kurz gehalten, um auch durch den Schreibstil zu verdeutlichen, wie sich Emmas Leben innerhalb weniger Tage dramatisch ändert. Sie empfindet die auf sie einströmenden Ereignisse Schlag auf Schlag und genauso soll sie auch der Leser empfinden. Wie Emma soll er kaum Zeit zum Luftholen haben. Das ändert sich erst, als sie anfängt, in Irland Fuß zu fassen.
Ich bin ein sehr visuell geprägter Mensch. Von den Charakteren bis hin zu Räumen, Türen, Landschaften oder Gegenständen sammle ich viele Fotos, um sie detailgenau beschreiben zu können. Außerdem versuche ich, mich intensiv in die Gefühlswelt meiner Figuren hineinzuversetzen. Zwangsläufig sind manche Szenen dann schwer zu schreiben, weil man mit den Figuren zu sehr mitleidet. Ich sage dann meiner Familie Bescheid, damit sie sich nicht wundert, warum ich plötzlich mit Tränen in den Augen, emotional aufgewühlt aus dem Büro schleiche.
Du schreibst – aber du liest auch gerne: Welches Buch zählt zu deinen Lieblingsbüchern? Und warum?
Oje. Eine Frage, die ich wirklich ungern beantworte, weil es so viele Bücher gibt, die mich beeindrucken und so viele Autoren, die ich bewundere. Ich fand Umberto Ecos „Der Name der Rose“ faszinierend oder „Zeiten des Aufruhrs“ von Richard Yates. Ich mag Dostojewski, weil er so tief in den Abgründen der menschlichen Seele schürft. Von den spanischsprachigen Autoren gefällt mir Javier Marías mit seinen essayistisch anmutenden Werken „Mein Herz so weiß“ oder „Morgen in der Schlacht denk an mich“. Die Liste ließe sich sehr lange fortsetzen.
Du hast in Cork und in Spanien gelebt, in „Chosen“ reist Emma nach Irland. Haben die Aufenthalte im Ausland dein Schreiben darüber hinaus geprägt oder beeinflusst?
Natürlich. Reisen bieten mir ein wunderbares Kaleidoskop an bunten, neuen Eindrücken. Man lernt andere Denkweisen kennen, ist fasziniert von Bauwerken oder Landschaften, genießt den Geschmack einer fremden Küche. Beim Reisen ist man auch meist entspannter als im Alltag und hat mehr Zeit, andere Leute zu beobachten und das Erlebte später in Erzählungen zu verarbeiten.
Was gefällt dir an Cork am meisten? Was an Spanien?
Es ist leider schon mehr als 15 Jahre her, dass ich Cork und Irland bereist habe. Besonders gefallen hat mir damals die Gastfreundschaft der Leute, ihre offene Herzlichkeit und Fröhlichkeit. Unvergesslich ist die wunderschöne Landschaft, wilde, einsame Strände, Nebel, der durch Burgruinen oder zwischen keltischen Hochkreuzen streift.
Spanien war natürlich schon allein klimatisch gesehen ein Traum. Da ich selbst eine Nachteule bin, konnte ich mich sofort mit der Mentalität des Spät-Aufbleibens und morgens Länger-Ausschlafens anfreunden :). Ich habe es sehr genossen, dass man sich von März bis Anfang November so viel im Freien aufhalten konnte, praktisch jedes Essen fand auf der Terrasse statt. An den Wochenenden haben wir ausgedehnte Wanderungen an Steilküsten über dem Meer unternommen. Das war eine sehr schöne Zeit, die ich nicht in meinem Leben missen möchte.
Du schreibst aktuell an Band 2. Was wird den Leser erwarten?
Der zweite Band von Chosen wird sich in einigen Punkten deutlich vom ersten unterscheiden. Zunächst fallen die Vergangenheitsrückblicke von Emmas Mutter Katharina weg, da sich das Rätsel um ihr früheres Leben bereits in Band 1 gelüftet hat. Dafür kommen zwei neue Erzählstimmen hinzu. Aidan wird neben Emma eine zentrale Position einnehmen, tatsächlich beginnt der Roman im ersten Kapitel aus Sicht Aidans. Erzählt werden seine Erlebnisse – wie die Emmas – in Ich-Perspektive, um einen möglichst intensiven Einblick in seine Gefühlswelt zu bekommen. Die dritte Erzählperspektive, die neben den beiden eingefügt wird, ist Emmas Vater Jacob. Passend zu seinem eher distanzierten, zynischen Charakter schreibe ich hier in dritter Person.
Für mich ist es nicht nur eine Herausforderung, sondern auch ungeheuer spannend, meinen Schreibstil jeweils dem Charakter der Figuren anzupassen. Emma ist anfangs verletzt und innerlich zerrissen. Sie muss erst ihren Kampfwillen neu entfachen und wird einige sehr interessante Dinge über ihre Gabe herausfinden, die nicht einmal Farran kennt. Auch die Motive und Hintergründe des Schulleiters werden in Band zwei aufgeklärt werden. Ich denke, der zweite Teil von Chosen bietet viele neue Möglichkeiten mit den einzelnen Charakteren mitzufiebern und gespannt dem Ende der Geschichte entgegenzusehen.
Wo schreibst du am liebsten?
An meinem Schreibtisch. Ich brauche absolute Ruhe beim Schreiben, um in der Geschichte zu versinken. An öffentlichen Orten wie Cafés oder Bibliotheken könnte ich mir nur Skizzen machen oder Eindrücke sammeln.
Und zu guter Letzt: Was machst du, wenn du gerade nicht schreibst?
Viel Freizeit bleibt einem als Mutter von drei Kindern neben dem Beruf nicht übrig.
Lesen ist nach wie vor meine Leidenschaft. Mit meinen Kindern am Wochenende basteln oder gemeinsam kochen, kleine Radausflüge unternehmen oder Wandern gehen, ab und an ein Museum an verregneten Tagen besuchen – das sind die Dinge, die mein Leben neben dem Schreiben bereichern.
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