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Den Figuren mehr Tiefe verleihen

Das Zitat stammt aus meinem aktuellen Thrillerprojekt und beinhaltet eine wichtige Kernfrage: Wie gelingt es uns, unseren Figuren Leben einzuhauchen?

Ich habe euch mal ein paar Tipps zusammengestellt, die meine persönliche Meinung zum Thema "lebensnahe Figuren" widerspiegeln und natürlich sieht das jeder Autor anders, sehr gerne könnt ihr mir daher eure eigenen Gedanken in einem Kommentar hinterlassen.

1. Erschlage die Leser nicht beim ersten Kennenlernen mit Infodump zum äußeren Erscheinungsbild deiner Figur!

Die Augen blau, die Haare lang und glatt, der Körper muskulös und, und, und. Kein Mensch kann sich all diese Merkmale auf einmal merken. Vor allem sind es statische Betrachtungen, als wäre die Person eine bunte Marionette, die mit durchschnittenen Fäden leblos vor unserem geistigen Auge hängt. Das ist nicht nur gruselig, das ist vor allem langweilig.

2. Wie bringe ich also Dynamik in die Figur?

Also gut, lassen wir die Person mit einem federnden Schritt oder hinkend den Raum betreten. Federnd steht für Selbstbewusstsein, beim Hinken fragen wir uns sofort nach dem Grund. Ein Unfall oder eine angeborene Fehlstellung, womöglich Verschleißerscheinungen aufgrund des Alters? Das kann zu Beginn gerne offen bleiben und macht die Figur umso mysteriöser. Hat die Figur einen Tick? Kratzt sie sich ständig am Kopf oder zucken die Augen? Zur Körpersprache gibt es zahlreiche Bücher, eine interessante Liste habe ich hier gefunden: 
Liste Körpersprache (*).
Wie spricht meine Figur - schnell und kaum Luft holend, laut, leise, schleppend? Das bringt uns gleich einen Schritt weiter:

3. Lass deine Figuren sprechen! Oder auch nur "laut" denken ;)

Dialoge sind niemals Beiwerk, um die Seiten zu füllen. Sie bringen entweder die Handlung voran und/oder erzeugen ein Spannungsfeld zwischen zwei Figuren, bei dem ihre unterschiedlichen Charaktere in Erscheinung treten. Nichts ist langweiliger als ein Dialog, bei dem die Figuren in allen Punkten gleicher Meinung sind. Wir können durch Dialoge oder auch innere Gedankenmonologe den Lesern Hinweise auf die Vergangenheit der Person geben und wie diese sie geprägt hat. Knappe Einblicke, die eventuell in den Folgekapiteln weiter ausgeschmückt werden, sind dabei wesentlich spannender und interessanter, als wenn unsere Figur lang und breit die tragischen Höhepunkte ihres bisherigen Lebens auflistet.

 Unsere Figuren können auch in ihrer Abwesenheit durch die Dialoge anderer Figuren charakterisiert werden. Besonders dramatisch ist es, wenn sie Vorurteile aufbauen, die dann durch die inneren Monologe der Figur widerlegt werden.

 Sprache drückt unglaublich viel aus.  Dabei sollte man berücksichtigen:
- Klangfarbe (spricht jemand hart, weich, melodisch, samtig, gehetzt ...)
- Sprachfehler (z.B. lispeln)
- Emotionen in der Sprache (rau, flehend, weinerlich, ...)
- Dialekt
- Gehört die Person einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe an? (Jugendsprache, Militärjargon bei Soldaten, besondere Schimpfworte, etc.)
- Sprachlicher bzw. Bildungshorizont der Person (Ein einfacher Krieger in einer Fantasyerzählung mag sich über die Welt und den Sinn seines Kampfes Gedanken machen, aber sicher nicht mit den geschliffen philosophischen Worten Kants.  Kinder sprechen anders als Erwachsene.)

4.  Auch wenn es schwer fällt: erzähl deinen Lesern nicht alles, was du über deine Figuren weißt!

Wenn man sich erst richtig auf die Figuren einlässt, wird man in aller Regel viel mehr Hintergrundmaterial über sie sammeln, als sich in einem Roman unterbringen lässt. Wir müssen nicht jede Szene zur Vergangenheit unserer Figuren zu Papier bringen. Es genügt, dass wir sie voll und ganz verstehen, dem Leser genügt ein Einblick.

5. Gute Figuren machen im Laufe des Romans eine Entwicklung durch

Unsere Figur ist nicht nur durch ihre Vergangenheit geprägt, sondern auch durch die aktuelle Handlung und die anderen Figuren, die wir auf sie treffen lassen. Um zu wissen, wie wir sie am Anfang darstellen, sollten wir uns überlegen, welche charakterliche Entwicklung sie durchmacht und wie wir sie am Romanende schildern wollen. Dieser Veränderungsprozess kann sich auch in Äußerlichkeiten niederschlagen, wie beispielsweise einem selbstbewussteren Auftreten, einer veränderten Haarfarbe oder neuer Umgangsformen. Show don't tell gilt insbesondere auch in der Darstellung der Entwicklung der Figur im Laufe des Romans.

Die Entwicklung muss durch den Handlungsverlauf nachvollziehbar sein und darf nicht zu abrupt erfolgen. Niemand wird dem brutalen Gangster abnehmen, dass er zum friedlichen Aussteigerphilosophen wird, wenn sich diese Wandlung nicht in mehreren Schritten vollzieht. Ein einzelnes einschneidendes Ereignis reicht bei einem so drastischen Wandel nicht.

6. Vergiss, was ich eben geschrieben habe, wenn es um die  Nebenfiguren geht

Je ausführlicher und detailgenauer du eine Person einführst, umso wichtiger wird sie deinen Lesern erscheinen. Schilderst du Gang, Sprache, Aussehen, etc. eines Kellners, der deinem Protagonisten das Getränk bringt, zu ausführlich, wird der Leser vermuten, dass er noch eine größere Rolle im Verlauf der Geschichte spielen wird. Verschwindet er nach der Restaurantszene einfach, fühlt sich der Leser irgendwie betrogen, mal ganz abgesehen davon, dass es den Roman unnötig in die Länge zieht. Dasselbe gilt übrigens auch für die Schilderung von Gegenständen.

7. Ungewöhnliche Figuren

Damit man sich ihrer noch lange erinnert, ist es nicht hilfreich, das Abziehbild des tapferen Helden oder der kühnen Amazone als Figur zu entwerfen und den Antagonisten ohne Ausnahme abgrundtief böse sein zu lassen. Differenzierte Sichtweise bedeutet aber auch nicht unbedingt, alle gerade vorherrschenden sozialen Brennpunkte auf einmal in die Figur hineinzupacken. Das wirkt meines Erachtens gekünstelt, als wollte man ein Lehrstück schreiben. Besser ist es, sich auf zwei, drei besondere Themen zu konzentrieren und nicht in einem Rundumschlag all die Gedanken, die einem selbst zu allen möglichen Themen wie beispielsweise Rassismus, Menschenrechtsverletzungen, Drogenmissbrauch, Tierschutz oder Klimawandel durch den Kopf gehen, an den Leser zu vermitteln. 

8. Technische Hilfsmittel

Um nicht immer im Manuskript nachzublättern, ob die Augen der Figur jetzt graublau, grünblau oder sommerhimmelblau waren, empfiehlt sich das Führen von Charakterblättern zu den einzelnen Figuren. Ob das nun in einem Notizbuch oder über eine Schreibsoftware erfolgt, bleibt jedem selbst überlassen. Ich persönlich schreibe zwar mit Papyrusautor, führe aber in Scrivener die Datenbanken zu meinem Roman.
Warum so kompliziert?
Das Personendatenblatt von Papyrusautor ist für mich nur ein Steckbrief, hilfreich, um beispielsweise auf einem Blick zu wissen, in welchem Kapitel welche Figur vorkommt. Zu meinen Figuren denke ich mir allerdings viele Szenen zu ihrer Vergangenheit, der Kindheit, etc. aus. Ich benötige mehr als nur ein Foto, um beispielsweise besondere Tätowierungen, die Augenfarbe oder den Körperbau zu beschreiben. All das sammle ich in meiner Scrivener Datenbank.
Gegenüber dem Notizbuch hat das Führen von Charakterblättern in Dateien - wer keine Schreibsoftware hat, kann auch einfach eine Textdatei verwenden - den Vorteil, dass man das eben zur Figur Geschriebene einfach in den Datensatz kopieren kann. Außerdem habe ich unterwegs immer alle Notizen dabei und muss mir keine Gedanken darüber machen, in welchem Notizbuch ich was notiert habe.
Besonders wichtig ist das Führen von Charakterblättern, wenn es sich um eine mehrbändige Reihe handelt. 

Womöglich wollt ihr einige Bilder zu euren Figuren mit euren Lesern teilen. Ich habe für mich Pinterest als Plattform entdeckt, um unter dem Namen des jeweiligen Buchprojekts mögliche Bilder von Figuren, Landschaften, Gegenständen, etc. zu zeigen, ohne in Gefahr zu geraten, Urheberrechte für Fotos zu verletzen.
So sieht beispielsweise meine Fotosammlung zu meinem neuen Jugendbuchprojekt bei Thienemann-Esslinger aus: https://www.pinterest.de/renafischerbook/ya-dystopie-projekt/ (*)

9. Die Sache mit den Gefühlen

Sie wachsen einem während des Schreibens schon ans Herz, die mühsam entworfenen Figuren. Und welcher Schriftsteller hält sich schon immer  krampfhaft an sein Exposé? Könnte man nicht den Widersacher ein paar Kapitel früher aus dem Zug stürzen lassen und die erlösende Kussszene beschleunigen?
Spätestens wenn eure düstere Dystopie oder euer dramatischer Thriller einem Wohlfühl-Disney-Film gleicht, seid ihr in die Mitleidsfalle getappt. Mitleid mit den eigenen Figuren ist wirklich übel und schlecht für Spannung und Plotentwicklung: https://renafischer.com/index.php/blog-rena-fischer/106-vom-leid-leiden-zu-lassen

10. Die Namensfindung

Namen mit für die Handlung tieferer Bedeutung finde ich gerade im Jugendbuchbereich immer besonders reizvoll. Aber das muss nicht sein. Ob es aktuelle Modenamen oder ungewöhnliche Namen sein sollen, kommt auf das Genre und die Intention des Autors an. Wichtig ist, dass sie nicht zu ähnlich klingen, um die Leser nicht zu verwirren. (Ja, ich spreche aus Erfahrung ;)).
Bei einer Vielzahl von Figuren, z.B. einem umfangreichen Fantasyepos, solltet ihr euch ein Personenverzeichnis im Anhang überlegen, das ihr gleich während des Schreibens entwerfen könnt und so nicht am Ende in dem Stress vor dem Abgabetermin neu entwickeln müsst. Spricht man die Namen eurer Personen auf eine besondere Weise aus? Dann wäre auch dazu ein Hinweis für die Leser hilfreich.

Wenn ihr noch ein paar Anregungen habt, könnt ihr sie gerne ergänzen. 

 

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