Von Rena Fischer auf Mittwoch, 29. März 2017
Kategorie: Verschiedenes

Mit Gedanken singen und mit Worten malen

Von Joubert gibt es noch ein zweites fantastisches Zitat über das Schreiben: "Nicht meine Worte sollen geschliffen sein, sondern meine Gedanken. Ich halte inne, bis der Tropfen des Lichts, dessen ich bedarf, sich gebildet hat und aus meiner Feder fließt.

Warum reicht es nicht aus, die Worte zu schleifen? Welche Fehler können einem dabei unterlaufen? 

Nun, ich bin weder eine hervorragende Joubert-Kennerin noch eine Schreib-Expertin. Aber vielleicht interessiert es euch, welche Gedanken ich mir zu diesem Zitat gemacht habe. 

"Innehalten" bedeutet für mich, sich in die Situation versetzen. Wie in einem Film die Szene vor Augen haben (der Tropfen des Lichts bildet sich) und dann die Charaktere sprechen lassen. So, wie sie in eben diesem Augenblick empfinden. 
Dummerweise geben sie mittlerweile auch im Alltag in allen möglichen Situationen einen Kommentar zu meinen Erlebnissen ab, aber das ist ein anderes Thema und soll - wie Ende so schön sagte- ein andermal erzählt werden, vielleicht unter der Rubrik: You know you're a writer if (No.1: the characters you created are talking to you all the time).

Ich gebe mal ein Beispiel aus meinem zweiten Band "Chosen - Das Erwachen":

(Vorsicht, Spoiler! Wer sich die Spannung in den ersten Kapiteln erhalten möchte, liest das jetzt besser nicht!).

Es ist Frühling.
Und ich schreibe aus verschiedenen Perspektiven. Unwichtig für die Beschreibung der erblühenden Natur? Von wegen! Der zynische, in seinem Leben bereits vielfach enttäuschte Jacob MacAengus wird einen ganz anderen Blick auf die Welt werfen, als die emotionale Emma. Wie wir die Dinge sehen, die uns alltäglich passieren, hängt schließlich von unserer Vergangenheit und der gegenwärtigen Situation ab, in der wir uns befinden. Das kennt jeder von uns. Wer den halben Winter lang erkältet im Bett liegt, wird anders auf die ersten Schneeflocken reagieren, wie jemand, der jedes Wochenende begeistert in den Bergen Ski fährt.

Schreibe ich also an einem Kapitel aus Jacobs Sicht, wird er sicher nicht schwärmerisch den Sonnenaufgang betrachten und sich am Zwitschern der Vögel erfreuen. Was nützt mir also die mit viel Herzblut im letzten Frühjahr verfasste Beschreibung der aufblühenden Natur bei einem meiner Spaziergänge im Wald? Gar nichts. Okay, stimmt so nicht, jedes Schreiben ist eine Fingerübung, wie beim Tonleiterüben am Klavier. 

Kommen wir zu dem Gedankenschleifen. Ich versetze mich mal in Jacobs Situation. Was bedeutet Frühling ganz konkret für ihn?
Vor allem eines: Monate sind vergangen, in denen es ihm nicht geglückt ist, an seine Tochter heranzukommen, sie Farrans Fängen zu entreißen. Er ist unglaublich wütend. Und Geduld war noch nie seine Stärke. Am liebsten würde er den Vögeln den Schnabel zukleben, die Blumen niedertrampeln, die Zeit zurückdrehen. Zu heftig? Schon gut. Aber es sollte in diese Richtung gehen. Vielleicht so:

"Der Frühling ist dieses Jahr schnell angebrochen. Die Nacht ist mild und die frischen Blumen auf den Gräbern verströmen einen Duft, der wie Honig an seiner Kleidung haften bleibt. Zumindest halten die Vögel um diese Tageszeit ihren Schnabel. Jedes fröhliche Zirpen in der Früh verspottet Jacobs Schwur, bis zum Ende des Winters seine Tochter Farrans Gewalt entrissen zu haben."

Beschreibungen der Natur sind ein Teil des Bildes, das wir malen, unterstreichen bestenfalls die Stimmung und den Charakter unserer Protagonisten. 

Lasst uns also, wie Joubert so schön sagte, unsere Gedanken schleifen, bevor wir mit den Worten farbenfroh zu malen beginnen.

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